Die Direktion des Alten- und Pflegeheims, in dem ich meinen Lebensabend verbringe, verleiht jedes Jahr im Juli jeweils drei „Goldene Medaillen“ an jene Heimbewohner, die wegen besonders guter Führung angenehm aufgefallen sind.
Es ist wohl überflüssig zu erwähnen, dass ich regelmäßig Träger einer solchen Auszeichnung bin. Dieses Jahr war ich etwas verwundert, weil auch Herr Göllner – der den Lesern meines Blogs kein Unbekannter ist – geehrt wurde. Zweifellos erhielt der Halunke die Medaille aufgrund von Bestechung oder einer anderen liederlichen Handlungsweise. Die dritte Preisträgerin war Frau Werner, eine schweigsame Witwe, die lange Zeit verdächtigt wurde, den eigenen Mann vergiftet zu haben. Das Verfahren wurde seinerzeit wegen Mangels an Beweisen eingestellt.
Letzten Samstag fuhren Frau Werner, Herr Göllner und ich mit der Eisenbahn nach Wuppertal, dort sollte es im Stadtpark das Freiluftkonzert eines Kammerorchesters geben, und zwar in D-Dur. Das war eine zusätzliche Belohnung, die sich Oberschwester Olga für uns drei ausgedacht hatte, und sicherheitshalber fuhr sie auch gleich mit.

Im Wuppertaler Stadtpark ist es im Sommer herrlich grün. Außerdem finden dort häufig schöne Konzerte statt.
Frau Werner und Herr Göllner schliefen sofort ein, als sich der Zug in Bewegung setzte. Oberschwester Olga war in die „Prawda“, ihre Lieblingszeitung, vertieft. Mein Blick fiel auf einen Jugendlichen, der mir schräg gegenübersaß und aufgeregt in ein Handtelefon hineinsprach. Ich erhob mich und forderte ihn auf, dies unverzüglich zu unterlassen, da „Handy“-Strahlen nicht gut für die Menschen sind. Er schaute auf und sagte in unfreundlichem Ton: „Ey Alter, setz dich wieder hin!“ – und telefonierte unbeirrt weiter.

Jugendliche, die eine Narrenkappe (unlöblich: Basecap) tragen, demonstrieren damit ihre Dummheit. Außerdem sind sie aggressiv.
Seine Freunde, die bei ihm saßen, lachten laut. Es waren so Jugendliche, die neumodische Narrenkappen auf dem Kopf hatten und seltsame Hosen trugen. Nassforsch riss ich dem Kerl das Telefon aus der Hand und erklärte, dass seine Eltern den Apparat bei mir abholen könnten.
„N‘ Rad ab, oder was? Telefon her, du Spacko!“, beschimpfte mich der bösartige Jugendliche daraufhin. Die anderen Leute im Zug wurden auch schon aufmerksam und hatten seltsamer Weise kein Verständnis dafür, dass ich für Redlichkeit sorgte. Da ich mich so alleingelassen fühlte, fing mein Körper heftig an zu zittern. Ich schlug wild um mich und schrie sehr laut. Das Telefon hielt ich die ganze Zeit über aber schön in der rechten Hand fest.
Nun erst blickte Oberschwester Olga von ihrer Zeitung auf. Sie legte sie beiseite und kam herbei, um mich am Oberarm festzuhalten. „Komm, Johannes, jetzt nimmst du eine Tablette!“
„Wieso denn?“, fragte ich unschuldig und umklammerte das „Handy“ noch fester.
Herr Göllner war ebenfalls munter geworden. Er rief der Oberschwester zu, dass ich „mal wieder durchgedreht“ sei und dem „netten jungen Burschen“ das Telefon aus der Hand gerissen hätte. Herr Göllner ist ein ganz bösartiger Mann. Er hetzt immer die anderen Heimbewohner und das Personal gegen mich auf.
Oberschwester Olga steckte mir mit ihren Wurstfingern eine Diazepam-Tablette (50 mg) in den Mund, die ich ohne nachzudenken hinunterschluckte. Sie meinte, gleich würde es mir bessergehen, nun solle ich dem Jugendlichen doch das „Handy“ wiedergeben. Noch immer erbost schüttelte ich den Kopf.

„Handys“ haben in Zügen nichts verloren.
„Da! Er hält das Handy in der rechten Hand!“, petzte Herr Göllner, woraufhin Oberschwester Olga versuchte, mir das unredliche Gerät zu entreißen. Ich war so zornig, dass ich die Notbremse ziehen wollte, doch das Diazepam begann zu wirken und angenehme Wärme und Leichtigkeit breitete sich in meinem Körper aus. Ich grinste vor mich hin, machte aber immer noch keine Anstalten, das Handy loszulassen.
Da wurde auch Frau Werner frech! Sie meinte, dass man das alles nachher dem Oberarzt erzählen müsse. Oberschwester Olga nickte mit dem Kopf und meinte, das wäre eine gute Idee. Auf meine Frage, ob ich dann in die geschlossene Abteilung käme, bekam ich die Antwort, dass dies sehr gut sein könne. Auch hatte ich die Befürchtung, dass man mir die Ehrenmedaille wieder abnehmen könnte. Unter diesem enormen Druck gab ich nach und händigte dem unredlichen Jugendlichen das Telefon aus, aber mit dem energischen Hinweis, dass er es nur im Notfall benutzen dürfe. Frech antwortete er, dass er damit machen könne was er wolle, und die Jugendlichen fingen an zu grölen und klatschten. Oberschwester Olga sagte mir, dass für mich heute „der Ofen aus“ sei und sie bei nächster Gelegenheit mit mir ins Heim zurückfahren wolle – was sie dann auch tat.
Herr Göllner und Frau Werner hingegen durften allein zum Konzert gehen … und sogar ohne eine Schwester oder einen Pfleger mit dem Zug wieder heimfahren.
Dieser Tag wer sehr schrecklich!
Sehr geehrter Herr Kaplan,
das ist ja schrecklich – da sorgen Sie für Redlichkeit, und statt Sie dafür mit einer Karte für einen Ehrenplatz in dem schönen Konzert zu belohnen, lässt man Sie ohne Konzertgenuss nach Hause fahren und sorgt durch die Rückgabe des Handtelefons an den verkommenen Jugendlichen auch noch für die Ausbreitung der Unredlichkeit (ich bin mir sicher, diese Unperson hatte keine Fahrkarte, hört regelmäßig scheußliche Krachmusik und praktiziert bestimmt auch widernatürlichen und ekelerregenden Sechs – ich kenne doch diese liderlichen Burschen)! So eine Unverschämtheit – ich empfehle Ihnen, in ein redliches Altenheim zu wechseln; katholische Häuser haben sich da sehr bewährt.
Ich hoffe, dass Sie wenigstens auf der Rückfahrt sich weiter für die Redlichkeit eingesetzt haben, indem Sie die Fahrkarten Ihrer Mitfahrer kontrolliert und von kriminellen Schwarzfahrern sofort das erhöhte Beförderungsentgelt von EUR 40,– kassiert haben – neben dem Einsatz für die Redlichkeit bringt Ihnen diese Bekämpfung von schwerkriminellen Beförderungserschleichern auch den Respekt Ihrer Mitreisenden und außerdem ein schönes Zusatzeinkommen ein. Ich selbst führe auch immer wieder Fahrkartenkontrollen durch (bevorzugt in Schulbussen, da die Erfolgsquote bei unserer verkommenen Jugend sehr hoch ist) und kann dabei regelmäßig kriminelle Schwarzfahrer dingfest machen – wie schön!
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Diethelm Gscheidle
(Verkehrswissenschaftler & Dipl.-Musikexperte)
Werter Herr Dr. Diethelm Gscheidle,
vielen Dank für Ihre zustimmenden Worte!
Wir leben fürwahr in einer ungerechten Welt, umso wichtiger ist es, den Kampf für die Redlichkeit unbeirrt fortzusetzen.
Zur Ihren Fragen bzw. Anregungen: Oberschwester Olga stammt aus Weißrussland und ist entsprechend kräftig. Leider musste ich mich daher für den Rest der Zugfahrt an die Anweisungen der rabiaten Person halten. Für Oberschwester Olga, die von Jugend an den Kommunismus gewohnt ist, ist es eine Selbstverständlichkeit, dass alle ohne Fahrschein fahren und nichts Richtiges arbeiten.
Auf meine Heimstatt habe ich so gut wie keinen Einfluss, zumal ich unter Betreuung stehe und mir fast alles vorschreiben lassen muss. Aber keine Sorge: Ich gleiche das regelmäßig durch redliche Raffinesse wieder aus.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Johannes Kaplan
Wenn Göllner und die schwarze Witwe allein waren dann haben die bestimmt miteinander rumgemacht. sehr unredlich!!
Ein abscheulicher, aber nicht ganz zurückzuweisender Gedanke, auf den ich noch gar nicht gekommen bin.